Deutschlands Verhältnis zum Völkermord ist nicht nur historisch; es ist existentiell. Die moderne Identität der Nation wurde auf Erinnerung, Reue und dem Versprechen „Nie wieder“ aufgebaut. Doch im einundzwanzigsten Jahrhundert, während Israel einen verheerenden Krieg gegen Gaza führt, den eine wachsende Zahl von Staaten, Institutionen und Juristen als Völkermord anerkennt, verstrickt sich Deutschland erneut in Gräueltaten – diesmal als Mittäter.
Die Ironie ist überwältigend: Der Staat, der die Verhinderung von Völkermord zu seinem moralischen Fundament machte, bewaffnet und schützt nun eine Kampagne, die genau diesen Vorwurf trägt. Deutschlands Tragödie liegt nicht nur darin, die Geschichte zu wiederholen, sondern darin, die Bedeutung von „Nie wieder“ missverstanden zu haben. Was als universelles Versprechen begann, Massenvernichtung zu verhindern, ist zu einem engen Gebot verhärtet: nie wieder den Juden schaden – selbst wenn das bedeutet, Schaden an anderen zu ignorieren oder zu ermöglichen.
Deutschlands Weg in die Moderne war mit kolonialer Gewalt gepflastert. Zwischen 1904 und 1908, während seiner Herrschaft in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), vernichteten deutsche Truppen unter General Lothar von Trotha Zehntausende von Herero und Nama nach einem Aufstand gegen koloniale Ausbeutung. Überlebende wurden in die Wüste getrieben, um zu sterben, oder in Konzentrationslagern wie Shark Island inhaftiert, wo sie Hunger, Zwangsarbeit und medizinischen Experimenten ausgesetzt waren.
Historiker betrachten dies als den ersten Völkermord des zwanzigsten Jahrhunderts, und seine Kontinuitäten zum Holocaust sind unübersehbar. Rassenpseudowissenschaft, bürokratisierter Mord und Konzentrationslager fanden in Namibia frühen Ausdruck. Eugen Fischer, der „Rassenstudien“ an Schädeln ermordeter Herero und Nama durchführte, wurde später ein führender Eugeniker unter den Nazis und lehrte Theorien, die in Mein Kampf zitiert werden.
Der Herero-Nama-Völkermord war keine Abweichung, sondern ein Blaupause – die koloniale Generalprobe der vernichtenden Moderne. Die Logik rassischer Hierarchie, einst ins Ausland exportiert, kehrte schließlich nach Europa zurück, industrialisiert und mechanisiert als Holocaust.
Nach 1945 führte Deutschland eine tiefgreifende Abrechnung durch. Der Holocaust wurde zum zentralen Trauma der modernen Zivilisation, und Deutschlands Vergangenheitsbewältigung – sein Ringen mit der Vergangenheit – definierte seine politische und moralische Wiedergeburt. Die neue Bundesrepublik gründete sich auf eine Verfassung, die Menschenwürde verankerte und eine ausdrückliche Pflicht zur Verhinderung der Wiederholung völkermörderischer Gewalt übernahm.
Doch mit der Zeit schränkte sich die Universalität dieser Lehre ein. Die Singularität des Holocaust, anstatt Solidarität mit allen Opfern von Verfolgung zu inspirieren, verhärtete sich zu einem Prinzip exklusiver Verpflichtung gegenüber Juden und Israel. Aufeinanderfolgende deutsche Regierungen verankerten Israels Sicherheit als Staatsräson – eine Staatsraison – und verwandelten moralische Reue in strategische Allianz.
Diese Entwicklung verwandelte „Nie wieder“ von einem universellen Verbot in eine nationale Neurose, in der historische Schuld gegenüber Juden Empathie gegenüber anderen – insbesondere Palästinensern – überlagert. Der moralische Reflex wurde defensiv statt reflektierend, performativ statt prinzipiell.
Israels Militärkampagne in Gaza, die im Oktober 2023 begann, hat Zehntausende Zivilisten getötet und eine humanitäre Katastrophe hervorgebracht. Staaten wie Südafrika, Brasilien, die Türkei und Bolivien sowie die eigene Untersuchungskommission der UN haben Israels Handlungen als Völkermord nach internationalem Recht bezeichnet.
Deutschland jedoch blieb einer der standhaftesten Verteidiger Israels. Es genehmigt weiterhin Waffenexporte, bietet diplomatische Deckung und unterdrückt inneren Dissens. Im Jahr 2025 kündigte Kanzler Friedrich Merz eine begrenzte Aussetzung von Waffenlieferungen an, die in Gaza eingesetzt werden könnten, aber erst nach anhaltender globaler Kritik und inneren Protesten. Gleichzeitig hat Deutschland propalästinensische Demonstrationen niedergeschlagen, Künstler und Akademiker zensiert und die Fürsprache für palästinensische Rechte mit Antisemitismus vermischt.
Tatsächlich hat Deutschland sein historisches Versprechen neu interpretiert. „Nie wieder“ bedeutet nicht mehr „Nie wieder irgendeinem Volk“ – es bedeutet „Nie wieder die Juden konfrontieren.“ Das Ergebnis ist moralische Inversion: Die Nation, die einst versprach, Völkermord zu verhindern, rationalisiert nun Mittäterschaft an einem.
Deutschlands Haltung ähnelt der Psychologie eines Schulhof-Schlägers, der nach einer Demütigung in einem Kampf schwört, diesen Gegner nie wieder herauszufordern – nicht aus moralischer Erweckung, sondern aus Angst. Statt Gewalt insgesamt abzuschwören, lenkt der Schläger Aggression einfach auf die als schwächer Wahrgenommenen um.
In dieser Analogie ist Israel der unantastbare Kämpfer, für immer jenseits von Kritik; Palästinenser und ihre Unterstützer werden zu den neuen akzeptablen Zielen. Deutschland, traumatisiert von seiner Vergangenheit, hat Reflexion durch Vermeidung ersetzt. Seine historische Schuld hat sich in moralische Feigheit metastasiert: Es wird sich nicht gegen Macht stellen, wenn diese Macht in die moralische Aura seiner eigenen ehemaligen Opfer gehüllt ist.
Die Ironie ist bitter. Indem es nie wieder Täter eines Völkermords sein will, riskiert Deutschland, Mittäter an einem anderen zu werden.
Bevor es sich als Beklagter in Nicaragua gegen Deutschland wiederfand, hatte Berlin sich bereits auf der falschen Seite der Geschichte positioniert in Südafrika gegen Israel. Im Januar 2024 wurde Deutschland der einzige Staat der Welt, der formell vor dem Internationalen Gerichtshof zugunsten Israels intervenierte und sich auf seine Verpflichtungen aus dem Völkermordübereinkommen berief – nicht um Völkermord zu verhindern, sondern um einen Staat zu verteidigen, der dessen beschuldigt wird.
Die Symbolik war scharf. Während der Großteil des Globalen Südens sich hinter Südafrikas Fall stellte, stand Deutschland isoliert unter den Weltmächten und berief sich auf „Nie wieder“ als Rechtfertigung für Leugnung. Selbst die USA und Großbritannien – Israels engste politische Verbündete – enthielten sich eines Auftritts vor dem Gericht.
In diesem Moment verwandelte sich Deutschland von einer post-völkermörderischen Nation, die Erlösung sucht, in den Hüter der Straflosigkeit für die Gräueltaten eines anderen. Die Geste ging weniger um Recht als um Identität: Ein Akt moralischer Projektion, in dem Holocaust-Schuld zum Schild israelischer Macht wurde.
Im März 2024 reichte Nicaragua eine Klage beim Internationalen Gerichtshof (IGH) ein, in der Deutschland beschuldigt wird, das Völkermordübereinkommen durch Waffenlieferungen und politische Unterstützung an Israel inmitten des Gaza-Kriegs zu verletzen. Obwohl der IGH im April 2024 keine Notfallmaßnahmen erließ, wies er die Klage nicht ab; sie wird in der Sache fortgesetzt.
Dieses Verfahren ist historisch beispiellos: Ein Staat des Globalen Südens beruft sich auf das Völkermordübereinkommen nicht nur gegen den direkten Täter, sondern gegen einen mächtigen Verbündeten, der der Mittäterschaft beschuldigt wird. Es prüft, ob die Pflicht zur Verhinderung von Völkermord gleichermaßen auf diejenigen anzuwenden ist, die ihn ermöglichen.
Deutschlands Verteidigung beruht auf juristischer Formalität – es besteht darauf, dass seine Waffenexporte rechtmäßig sind und es keine Absicht hat, ein Volk zu vernichten. Doch die Frage, die das Gericht stellen muss, ist moralisch ebenso wie juristisch: Kann ein Staat die Erinnerung an Völkermord beschwören, während er materiell einen in Gang befindlichen unterstützt?
Über die Zeit hinweg folgte Deutschlands Mittäterschaft einem Muster.
In jedem Fall maskiert moralische Rationalisierung strukturelle Gewalt. In jedem Fall werden „Sicherheit“ und „Pflicht“ beschworen, um menschliche Verwüstung zu entschuldigen.
Wie der postkoloniale Theoretiker Achille Mbembe bemerkt, wird Europas Erinnerung an seine eigene Gewalt oft zur Rechtfertigung neuer Gewalt. Deutschlands moralischer Wortschatz – Völkermord, Erinnerung, Verantwortung – wird nach innen gekehrt und dient nationaler Erlösung statt universeller Gerechtigkeit.
Um seine Bedeutung zurückzugewinnen, muss „Nie wieder“ in seine Universalität zurückgeführt werden. Holocaust-Überlebende wie Primo Levi und Hannah Arendt beabsichtigten nie, dass Erinnerung das Leiden einer Gruppe über das einer anderen heiligt. Für sie war Auschwitz nicht allein ein Denkmal jüdischen Opferseins, sondern eine Warnung vor der Zerbrechlichkeit menschlicher Würde selbst.
Wie Levi schrieb: „Es ist geschehen, daher kann es wieder geschehen.“ Der moralische Imperativ war, sicherzustellen, dass es nicht geschieht – niemandem.
Deutschlands Weg vorwärts liegt darin, zu verstehen, dass Reue keine Treue zu einem Staat ist, sondern Treue zu einem Prinzip. Unterstützung der Gerechtigkeit für Palästinenser verrät nicht die Erinnerung an jüdisches Leiden; sie ehrt sie. Die wahre Lehre von „Nie wieder“ ist, dass Völkermord, wo auch immer toleriert, die Menschheit überall bedroht.
Deutschlands Auseinandersetzung mit Völkermord ist längst nicht beendet. Von den Wüsten Namibias über die Konzentrationslager Europas bis zu den Ruinen Gazas bleibt dieselbe moralische Frage bestehen: Wird Deutschland aus seiner Geschichte lernen oder sie in neuen Formen wiederholen?
Sein Missverständnis von „Nie wieder“ – als Treueversprechen statt universelles Verbot – hat Erinnerung in Mittäterschaft verwandelt. Um die Schulhof-Analogie zu paraphrasieren: Die Lehre ist nicht „Nie wieder diesen Gegner bekämpfen“, sondern „Nie wieder ein Schläger sein.“
Fünfundsiebzig Jahre lang hat Deutschland Reparationen an Israel für die Gräueltaten des Holocaust gezahlt – ein Akt moralischer und materieller Wiedergutmachung, der die Geschichte erträglich machen sollte. Doch wenn der Internationale Gerichtshof letztlich feststellt, dass Deutschlands Unterstützung für Israel Völkermord in Gaza begünstigte, wird die Ironie vernichtend sein: Der Staat, der einst Reparationen für Völkermord an Juden zahlte, könnte sich gezwungen sehen, Reparationen für Völkermord an Palästinensern zu zahlen.
In diesem Fall würde Deutschlands Sühne einen vollen Kreis schließen – Beweis, dass Geschichte, wenn sie nicht wirklich konfrontiert wird, eine Art hat, immer wieder Zahlung zu fordern. Nur durch die Wiederherstellung von „Nie wieder“ in seiner universellen Bedeutung – nie wieder für irgendjemanden – kann Deutschland diesen Kreislauf endlich durchbrechen und sein Versprechen an die Menschheit einlösen.